Es kam nicht, wie es kommen sollte

Karl May und die GmbH

Um 1992 kommt der Durchbruch. Er kommt nicht durch Fleiß oder Erleuchtung, sondern mal wieder durch Zufall. Möglicherweise als Abwechslung zur strengen Kost eines Gesetzeskommentars aus der Unibibliothek blättern wir gefrustet im Buch „Auf fremden Pfaden“, einem Leitfaden für Rechtsformen für Alternativbetriebe.
Erschienen ist das Buch 1986 in der populären sogenannten Karl-May-Reihe ähnlicher Handbücher mit Titeln wie „Unter Geiern“ (Der Alternativbetrieb an sich), „Sand des Verderbens“ (Buchführung) und „Der Schatz im Silbersee“ (Fundraising). Verfasser ist der Jurist Matthias Neuling, der die unterschiedlichen Rechtsformen auf ihre Eignung für Alternativbetriebe untersucht. Er erörtert grundlegende Fragen zur Dauerhaftigkeit von Satzungen und macht konstruktive Lösungsvorschläge. Darunter ist auch die Rohform unseres GmbH-Modells, aus dem sich baukastenartig eine anbaufähige Organisationsstruktur entwicklen lässt.

Auf fremden Pfaden

So heißt ein Leitfaden der Rechtsformen für Alternativbetriebe (erschienen 1986), der uns 1992 entscheidende Impulse liefert. Der Verfasser Matthias Neuling betrachtet an Hand von historischen Beispielen, wie ursprünglich sozialistisch und kollektiv angelegte Genossenschaften irgendwann zu kapitalistischen und privatnützigen Unternehmungen deformieren.
Er stellt fest, dass die Verankerung nicht-kapitalistischer Zwecke in der Satzung der Genossenschaft zunächst durchaus wirksam ist. Aber Jahre oder Jahrzehnte nach der idealistischen Pioniergeneration haben sich nicht nur die GenossInnen geändert, sondern oft auch die Zielvorstellungen.
Geändert hat sich auch das Firmenvermögen: Die Immobilen im Genossenschaftsbesitz sind weitgehend entschuldet, während ihr Marktwert zusätzlich immer stärker anwächst. Eines aber ist geblieben: die Möglichkeit, die Häuser entsprechend ihrem Marktwert verkaufen und privatisieren zu können. Denn die Sperre durch Satzungsbestimmungen kann mit qualifizierter Mehrheit der GenossInnen aufgehoben und abgeändert werden. „Diese Phänomene treten nach den Erfahrungen besonders in der ‚zweiten Generation‘ auf, wenn also die Gründungsmitglieder ausgeschieden oder von neuen Mitgliedern majorisiert sind.“ (M. Neuling)

Gerade bei Genossenschaften, die längst den Anschluss an aktuelle soziale Bewegungen verloren haben und selbstbezogen vor sich hin dümpeln, ist die Versuchung nicht zu unterschätzen: Eine zufällige NutzerInnengeneration reißt sich unter den Nagel, was über viele Jahre und mit der Solidarität vieler Menschen für eine dauerhafte soziale und kollektive Nutzung aufgebaut worden ist. Das ist ekelig, aber der sogenannte Grundsatz der Privatautonomie, das Recht jeder Vereinigung zur Änderung ihrer Satzung, läßt sich juristisch nicht aushebeln. Matthias Neuling schlägt deshalb folgendes Modell vor:

Außenstehende, neutrale Dritte

„Nach den Erfahrungen der Genossenschaftsbewegung erscheint es möglich, dass das Einbeziehen neutraler Dritter einen Weg darstellt, kapitalneutralisierende und selbstverwaltete Strukturen zu sichern. Dies ist zu erwarten, weil Menschen, die nicht in den betrieblichen Alltagszwängen des Projektes eingebunden sind, und zu dem keine eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen, aus der Distanz heraus leichter Veränderungen im moral-politischen Konsens entdecken und dagegen intervenieren können. Jedoch: Jedes Einwirken Dritter widerspricht grundsätzlich den Prinzipien der Selbstverwaltung. Zwischen beiden Anforderungen ist daher ein Ausgleich zu suchen, in dem neutralen Dritten nur insoweit Befugnisse eingeräumt werden, als sie zur Sicherung der beiden grundsätzlichen Strukturmerkmale erforderlich sind … Den Anknüpfungspunkt für einen derartigen Ausgleich bietet die Unterscheidung zwischen den Grundlagenentscheidungen und der geschäftsführenden Tätigkeit.
Die konkrete Ausgestaltung dieses Modells sieht nun vor, dass das Recht zur Geschäftsführung in der unantastbaren Autonomie der Projektmitglieder liegt. Möchten die Projektmitglieder jedoch Veränderungen an den Grundlagen ihres Betriebskonzeptes vornehmen, so sind sie auf die Mitwirkung der neutralen Dritten angewiesen. Diese Neutralen haben damit eine Wächterfunktion, auch langfristig die Sicherstellung der Prinzipien alternativer Ökonomie zu gewährleisten. Die Neutralen selbst dürfen nicht Mitglied des Betriebes sein. Dadurch ist gewährleistet, dass sie selbst keinerlei wirtschaftliche Interessen verfolgen und daher die Ihnen zugedachte Aufgabe ohne widerstrebende Interessen erfüllen können.“ (M. Neuling)